Als Geschichtenerzähler oder Märchenerzähler bezeichnet man jemanden, der mündlich eine Geschichte erzählt und dabei nur auf sein Wissen, seine Vorstellungskraft und sein Improvisationstalent zurückgreift.

Die Kunst des erzählen von Geschichten unterscheidet sich also sowohl von der des Schreibens, des Vorlesens und des einfachen Rezitierens. Eine Geschichte ist jede Erzählung, genauer gesagt jede Abfolge von Ereignissen, ob real oder nicht, ohne einen strengen dramatischen Knoten.

In Mitteleuropa ging das Berufsbild des Geschichtenerzählers wohl aus dem Spektrum der mittelalterlichen Minnesänger, Troubadoure und Hofnarren hervor. Im westlichen Sprachraum nutzt man den Begriff Geschichtenerzähler (engl. storyteller) meist als Oberbegriff für Märchen- und Sagenerzähler sowie Stadt- und Museumsführer.

Formen

Vom Geschichtenerzähler verwendete Formate, Stilmittel und Genres, die sie für die Dramaturgie einsetzen.

  • Anekdote, von griechisch anékdotos, ist ein kurzer Bericht oder eine Nachricht über ein bestimmtes, mehr oder weniger bemerkenswertes Ereignis. Im Mittelpunkt der Anekdote steht in der Regel eine ältere Person, z. B. ein Großvater, Menschen, die ein abenteuerliches Leben führen, Reisende und dergleichen.
  • Legende: Ein sehr beliebtes Genre. Die Legende ist immer der Ursprung eines jeden Volkes, und obwohl sie fantastisch erscheinen mag, kann sie in Wirklichkeit eine entfernte historische Inspiration haben. Sie sind mit dem Thema des Glaubens verbunden. So wie Märchen eine eminent spielerische Funktion haben, haben Legenden die Funktion, eine Erklärung oder Klärung zu liefern.
  • Mythen sind Teil der Kosmogonie einer Region oder eines Volkes.
  • Grusel-Elemente: Das Genre des Horrors und des Schreckens war schon immer attraktiv für die Menschen und hat viel mit Legenden und Mythen zu tun.
  • Die Fabel: Dies ist ein sehr altes Genre. Es handelt sich um eine Art kurze Komposition, die zu einer Moral führt und in der die Protagonisten im Allgemeinen Tiere sind, die den Menschen repräsentieren.
  • Die Parabel (altgriechisch parabolḗ „Vergleichung, Gleichnis, Gleichheit“) ist eine mit dem Gleichnis verwandte Form von Literatur.

Geschichte

Im Laufe der Geschichte und auf der ganzen Welt war das mündliche Erzählen von Geschichten ein natürlicher Teil der menschlichen Interaktion. Geschichten wurden im täglichen Leben und auf Festen erzählt. In vielen alten Kulturen dienten Höhlenmalereien möglicherweise als Hilfsmittel für das mündliche Erzählen. Die australischen Aborigines malten Symbole aus Geschichten auf Höhlenwände, um dem Erzähler zu helfen, sich an die Geschichte zu erinnern. Diese Geschichten wurden dann durch eine Kombination aus mündlicher Erzählung, Musik, Höhlenmalereien und Tanz weitergegeben.

In den alten bäuerlichen Gemeinschaften kannten viele Menschen die Geschichten ihrer Familien und Dörfer, während es gleichzeitig Überlieferungsträger gab, die die längeren Geschichten, Mythen und Legenden erzählten. Sie dienten der Unterhaltung, aber auch der Weitergabe von Wissen und Werten.

Im Westen hat sich die mündliche Tradition des Geschichtenerzählens vom griechischen Aeden und Rhapsoden über den keltischen Barden und den Troubadour des Mittelalters bis hin zum Erzähler der Neuzeit gehalten, bis der Rückgang des Analphabetismus ab dem Ende des 18. Jahrhunderts dazu führte, dass man nicht mehr systematisch auf das Gedächtnis der Erzähler zurückgreifen musste, um sich an eine Geschichte zu erinnern. Das Repertoire der traditionellen Erzähler, das im Laufe der Geschichte durch die äußeren Einflüsse der Immigration und der Literaturgeschichte und von innen durch die Zufälligkeiten des Gedächtnisses und der Vorstellungskraft der Erzähler erschüttert wurde, war erst ab dem 19. Jahrhundert Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, als die mündliche Tradition im Begriff war, seltener zu werden und auszusterben.

Im 20. Jahrhundert verschwand das mündliche Erzählen in weiten Teilen der industrialisierten Welt, einschließlich der Vereinigten Staaten und Westeuropas. Die Live-Begegnung zwischen Erzähler und Zuhörer wurde zunächst durch das geschriebene Wort, dann durch das technische Erzählen - Film, Fernsehen, Radio und später Internet und Computer - ersetzt. Von der mündlichen Erzählung ist nur noch ein Bruchteil übrig geblieben, und zwar in Form von modernen urbanen Legenden, Witzen und Alltagsgeschichten.

In Afrika üben heute noch Griots eine Funktion als Geschichtenerzähler aus. Neben der Bewahrung und Verbreitung der mündlichen Überlieferung ist es ihr Beruf, bei Zeremonien wie z. B. Hochzeiten eine Familien-, Clan- oder Stammesgeschichte zu verfassen und zu erzählen.